Von einer Reis-Terrasse aus erkennt ein alter Mann,
wie ein Tsunami sein Fischerdorf bedroht. Er zündet die Reisfelder an,
so dass die Menschen aus dem Ort nach oben eilen, um das Feuer zu
löschen. So werden sie gerettet. Diese kleine Geschichte
illustriert trefflich die lösungsorientierte Therapie. Den Tsunami kann
man nicht aufhalten und doch zugleich eine Lösung finden. Mehr dazu in diesem Blog.
Gute (systemische) Lösungen aus alles Welt
Vor Jahren forderten H.-J. Assion und I. T. Calliess unter dem Titel "Marginalisierung von kulturellen Faktoren im ICD-10" (Revisionsbedarf im ICD-11) eine kultursensible Diagnostik psychischer und Verhaltens-Störungen. Was tatsächlich davon in der elften Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) umgesetzt wird, soll 2019 festgeschrieben werden. Bemerkenswert ist dabei, wie das Interesse und die Kenntnisse über eine kulturangepasste Psychotherapie gewachsen sind. Im September diesen Jahres fand der 13. Dreiländerkongress Pflege in der Psychiatrie in Bielefeld unter der Überschrift "Fremdsein überwinden" Kompetenzen der psychiatrischen Pflege in Praxis – Management – Ausbildung – Forschung statt. Im Tagungsband finden sich viele interessante Beiträge wie der von Öznur Fettah zur Pflege von muslimischen Patienten – Eine Informationsbroschüre für professionell Pflegende, der von Mohab Naeem über Psychiatrische Pflege in Syrien, oder der von Martin Osinski zum Thema Wir schaffen das - aber wie?! Wie (Gemeinde-)Psychiatrie und Flüchtlingshilfe einander fordern und fördern. Sehr viel anregender Lesestoff, wenn man das mag.
Bei der Recherche für dieses Thema hat mir besonders ein etwas älterer Artikel von Kevin Washington (Mwata Kairi) im The Journal of Pan African Studies, vol.3, no.8, June 2010 über Zulu-Heiler gefallen: Zulu Traditional Healing, Afrikan Worldview and the Practice of Ubuntu: Deep Thought for Afrikan/Black Psychology. Dort werden das Sein „Ubu“ und die universelle Lebenskraft „ntu“ beschrieben, die sich in allen Dingen zeigt. Die Ubuntu-Psychologie der Zulu sieht Gesundheit (und einen guten Charakter) in einem Verhalten, dass der Gemeinschaft dient und im höchsten Sinn das Leben in Afrika erhält. Als Quelle ihrer Kraft gelten Familie, Freunde und soziale Gemeinschaften. Rituale bekräftigen diese Wurzeln und stärken das Individuum – auch in der Fremde. Ubuntu-Therapie betont die Spiritualität in allen Aspekten des Lebens, würdigt den spirituellen Weg der Menschen, auf ihrer Suche Eins zu werden mit dem Schöpfer. Sie will die Menschen in ihren Erfahrungen stärken, Ihnen helfen, auf ihren Lebenszweck ausgerichtet zu bleiben. Rituale in einem afrikanischen Selbst-Verständnis unterstützen den therapeutischen Prozess.
So wie die afrikanische Psychotherapie das westliche Verständnis von Krankheit und Gesundheit als einfache Diagnosezuweisung kritisiert, welche die Bedeutung der Gemeinschaft übersieht, gibt es auch bei uns ernst zu nehmende Strömungen, die in diese Richtung gehen. Im Mai werde ich an der Tagung Was ist der Fall? Und was steckt dahinter? Diagnosen in Systemischer Theorie und Praxis teilnehmen. Zwei Programmpunkte, auf die ich mich freue, lauten Diagnosen sind nicht (kultur)neutral und Abschaffung von DSM & ICD. Das kann heiter werden, und vermutlich wird sich da eine Gemeinschaft treffen und ihre Rituale pflegen, so wie es sich auch an den kommenden Adventstagen, an Weihnachten und Sylvester vielfach vollziehen wird. Vielleicht können wir das diesmal bewusst als Quelle von Kraft und Bekräftigung unserer Wurzeln und Gemeinschaft erleben.
Fremde Länder - bekannte Lösungen
Positiv durch den Advent - Aktion "Das tut gut!"
Nachrichten sollen möglichst aktuell sein und sie brauchen einen hohen Selbstwert. Der Nachrichtenwert orientiert sich an dem Wert des Wissens, das vermittelt wird und der Orientierung, welche die Nachricht bietet, dem Nutzen, den sie stiftet, sowie dem Unterhaltungs- bzw. Gesprächswert der Nachricht. Von den Medien werden dabei die schlechten Nachrichten bevorzugt. Gute dienen nur zum Ausgleich oder als Aussteiger, wenn sonst zu viel Belastendes übrig bliebe.
Nachrichten entstehen jedoch - wie alle Botschaften - im Empfänger der Botschaft. Jeder entscheidet selbst, ob er oder sie eine Nachricht als gut oder schlecht bewerten möchte.
Die Weihnachtsgeschichte ist alt, vermittelt wertvolles Wissen und gibt denjenigen Orientierung, die den christlichen Glauben schätzen; sie ist nützlich - vor allem für Kinder, die sich auf Geschenke freuen; und sie hat einen hohen Unterhaltungswert. Wir wissen schon viel darüber, und doch entsteht Wissen vor allem aus der Verknüpfung von Informationen und diese Chance möchte ich hier nutzen. Von Nazareth nach Bethlehem sind es je nach Strecke ca. 175 Kilometer. Das ist ein Fußmarsch von 36 Stunden, wenn man gut zu Fuß ist und keine Pausen bräuchte. Realistisch sind das eher 7 oder 8 Tage zu laufen. Das ist vielleicht eine gute Information für ein Schwätzchen mit dem Nachbarn oder der Arbeitskollegin.
Manche bewundern Menschen, die solche langen Strecken zurücklegen. Die letzten 200 Kilometer oder eine längere Strecke des Jakobswegs zu wandern gilt als wichtige persönliche Erfahrung. Für attraktive Ziele sind die Menschen zu allen Zeiten unterwegs gewesen und sie sind es auch heute. Nach Mallorca können wir den Flieger nehmen. Zu Fuß kämen wir nur bis Barcelona und bräuchten dafür je nach Startpunkt in Deutschland zwischen 50 und 100 Tage. Dann allerdings müssten wir noch fast 200 Kilometer schwimmen oder ein Boot finden.
Heute wird ja viel über Flüchtlinge gesprochen. Die haben einen enorm langen Weg hinter sich. Von Syrien bis nach Deutschland ist es mehr als doppelt so weit wie von uns auf die beliebte Ferieninsel. Zu Fuß evtl. mit Kindern oder als Schwangere. Was für eine enorme Leistung. Von Afghanistan ist noch mal doppelt so weit. 6000 Kilometer. Da kommen mir die Väter in den Sinn, die nach der Gefangenschaft aus Russland nach Hause wanderten. Warum schaffen die das, wenn ich nach kaum 10 Kilometern Wanderung völlig erschöpft bin? Es sind attraktive Ziele, welche den Menschen Kraft geben. Eine gute Nachricht genügt, und die Menschen machen sich auf den Weg - wie seinerzeit die Weisen aus dem Morgenland. Das gilt umso mehr, wenn die aktuelle Lage, da wo man sich befindet, so miserabel ist.
Die Nachricht ist also: Wenn man ein attraktives Ziel findet, wächst man über sich hinaus. Das ist auch die Botschaft der Psychotherapie. Anstrengung lohnt sich. Zugleich kann man feststellen, dass Menschen geradezu wahnsinnig leidensfähig sind. Das gilt für die Flüchtlinge genauso wie für Menschen, die ständig Stimmen hören, die sie beschimpfen, oder die vor Angst und Sorge weder ein noch aus wissen. Viele können sich kaum vorstellen, wie das ist. Es ist eine Frage der persönlichen Identität: Wir nehmen mit unserer Geburt ein anscheinend natürliches Recht in Anspruch, mit dem wir das Geschenk unseres Lebens und unserer Werte verteidigen. Wären wir in Syrien geboren, hätten wir schon vor dem Krieg kaum Hilfe finden können, wenn wir in eine Depression gerutscht wären. Heute sind die wenigen syrischen Therapeuten selbst Flüchtlinge. In ihrem Netzwerk Syria's Bright Future helfen manche den Flüchtlingen in Jordanien so gut es geht.
In der Nähe von Kalkutta behandeln indische Therapeuten depressive Menschen in entlegenen Dorfgemeinschaften mit Medikamenten und lösungsorientierter Psychotherapie. Es ist eine Welt, und trotz aller kultureller Unterschiede und Besonderheiten nutzen wir weltweit die gleichen Diagnosen der WHO und wenden die gleichen Methoden erfolgreich an. Dank automatischer Übersetzungsprogramme können wir über Lösungsorientierte Therapie und Beratung in Russland oder China lesen, und auch in Tansania werden die gleichen guten Empfehlungen zum Umgang mit Depressionen gegeben wie im französischsprachigen Teil von Kanada.
Dem Gehirn tut es überall gut, an attraktive Ziele zu denken. Bei traumatisierten Menschen erlebe ich immer wieder, wie hilfreich es ist, die zunächst kaum wahrnehmbaren guten Erlebnisse des Alltags zu beachten und später zu erinnern. Das gibt Kraft für Veränderung, steigert den Selbstwert und die Selbstfürsorge. Wir wachsen über uns hinaus. Wenn dann der Blick nach außen geht, können wir anderen helfen, z. B. indem wir gute Nachrichten weitergeben, die Nachricht beispielsweise, dass Flüchtlinge schon Enormes geleistet haben und das bei attraktiven Zielen auch hier bei uns weiterhin tun werden. Und dass wir Enormes leisten können, wenn wir uns für Ziele entscheiden, die wir attraktiv finden. Über diese Ziele sollten wir mit den Menschen reden, die bei uns sind - bekannten und fremden. Nachrichten müssen verbreitet werden. Verbreiten wir diese guten Nachrichten wie ein wanderndes Lauffeuer.